Januar 2012 bis heute
Die Mutter eines herzgesunden Kindes zu sein, war von Anfang an etwas ganz anderes. Nicht nur, weil Johann ja wie bereits erwähnt ein absolutes Übungsbaby war. Es machte sich eine Ruhe in mir breit, weil ich um ihn keine Angst haben musste. Ich konnte ihn einfach genießen, musste nicht kontrollieren ob er ordentlich trank oder wuchs, er tat es einfach.
Johann hatte von Anfang an nur drei Bedürfnisse und wenn die erfüllt wurden, war er zufrieden. Er wollte essen, er wollte schlafen und er wollte körperliche Nähe. Zu Beginn schlief er in meinem Bett und ich stillte ihn voll. Da er aber ein kleines verpenntes Etwas war, schlief er spätestens nach den ersten drei Schlücken ein. Stefan und ich versuchten alles, um ihn dann wieder zu wecken, wir googelten sogar nach den besten Tipps. Aber Johann blieb eisern. An der Brust gefiel es ihm, da war es warm, weich und es gab Essen. Also schlief er, meistens noch mit dem Mund voller Milch, ein. So niedlich das auch war, für mich war es Streß pur. Nachts kam ich nicht zum schlafen, denn mit dem Kind an der Brust tat ich kein Auge zu. Versuchte ich aber, ihn abzulegen, wurde er prompt wach und weinte. Tagsüber forderte Emil sein Recht, er konnte nicht verstehen, dass dieser kleine „Eindringling“ soviel Zeit von seiner Mama beanspruchte. Also lieh ich mir – so wie damals nach Emils Geburt – eine Milchpumpe in der Apotheke. Diesmal klappte das abpumpen zwar besser als bei Emil, aber mehr als neunzig Milliliter schaffte ich trotzdem nicht. Und das reichte Johann nicht. Er zog das Fläschchen in einem Affenzahn durch und wollte mehr. Also begann ich Pre-Nahrung zuzufüttern, erst nachts, später dann auch tagsüber. Johann mochte beides, Hauptsache er war satt. Ich mag es mir damals ein bißchen einfach gemacht haben, aber nach der stressigen Zeit im Kinderherzzentrum, der schmerzhaften Geburt mit den Geburtsverletzungen und meinen Schlafproblemen war ich nicht bereit, noch mehr auf mich zu nehmen. Ich war müde. Und da stehe ich auch heute noch zu!
Johann wurde von mir viel getragen, zu Hause auf dem Arm, unterwegs in der Manduca und im Tragetuch. Zwischen uns stimmte die Chemie von Anfang an, seit dem Moment, als er nach der Entbindung auf meinen Bauch gelegt wurde. Es war komplett anders als nach dem Kaiserschnitt mit Emil. Es tut mir im Nachhinein so leid für Emil und für mich, dass wir einen so schweren Start hatten. Johann und ich waren vom ersten Tag eine Einheit. Zwischen Emil und mir musste es erst wachsen. Das liegt sicherlich auch daran, dass Johann mein zweites Kind ist und ich viel mehr Erfahrung mitbrachte.
Man konnte Johann von Anfang an überall hin mitnehmen, denn er schlief die meiste Zeit. Nachts schaffte er von Beginn an zwischen drei und sechs Stunden, nach acht Wochen schlief er komplett durch. Solche Nächte wie ich sie von Emil kannte, gab es bei ihm wenige. Mit sechs Monaten brauchte Johann über den Tag verteilt noch über 17 Stunden Schlaf. Und noch heute ist er eine richtige Pennwurst die morgens meistens mit einem Lächeln im Gesicht aufwacht. Solange er von alleine aufwacht und nicht geweckt wird, aber das ist eine andere Geschichte.
Im Alter von acht, neun Monaten begann Johann heftigst zu fremdeln. Auch dieses Verhalten war mir von Emil fremd. Mein jüngerer Sohn tolerierte außer Stefan und mir nur noch meine Mutter, die aber auch nur, wenn Stefan oder ich dabei waren. Er begrüßte jeden unserer Gäste mit lautem Geweine, selbst dann, wenn ich mit ihm auf dem Arm die Tür öffnete. Trotzdem gestehe ich, dass ich diese Zeit genossen habe. Es hat mich niemals gestört, dass Johann emotional so abhängig von mir war, im Gegenteil, ich genoß das Gefühl gebraucht zu werden. Allerdings brach es mir jedesmal das Herz, wenn ich in kurz abgeben musste, sei es in der Reha oder weil er kurz zu meiner Mutter sollte. Ein paar Monate später besserte sich die Lage etwas, aber Johann hängt nach wie vor noch sehr an mir.
Johann ist ein gesundes Kind. Natürlich bekommt auch er die kindestypischen Infekte, aber ich bin – natürlich – viel ausgeglichener als bei Emil. Wenn Johann hustet, habe ich Mitleid, aber ich denke nicht an eine Bronchitis. Wenn er Fieber bekommt, beobachte ich ihn, aber ich stehe nicht mehrmals in der Nacht auf um nach ihm zu sehen. Ich nehme ihn mit in mein Bett und fühle hin und wieder im Halbschlaf seine Stirn, nicht sein Herz. Ich bin entspannt. Wenn er einen Magen-Darm-Infekt hat, blutet mir das Herz, weil er dann so arm und klein und zerbrechlich aussieht. Aber ich habe keine Angst, dass er seine Medikamente ausbrechen könnte, so wie bei Emil. So schlimm das klingen mag: wenn Stefan und ich abends ein Kind in seinem Bett husten hören, hoffen wir beide immer, dass es Johann ist.. 🙁
Mit ca acht Monaten fiel mir bei Johann auf, dass er richtig zornig werden konnte wenn ihm etwas misslang. Und mit ungefähr eineinhalb Jahren drehte er dann voll auf. Verschwunden war das ausgeglichene Baby, dass nicht viel mehr brauchte als seine Mama, etwa zu essen und genügend Schlaf. Zum Vorschein kam ein Paradebeispiel des Kindes aus dem Film „der Exorzist“. Das ein oder andere Mal fragte ich mich, ob irgendwer mein Kind nachts ausgetauscht hätte. Am heftigsten wurde es, wenn man ihn weckte, beispielsweise nach dem Mittagsschlaf. Teilweise war es so schlimm, dass er seine Stirn vor Wut so oft auf den Boden schlug, bis sie blau war. Er war immer noch ein liebes Knöpfchen, aber wenn er wütend wurde, dann richtig. Natürlich kannte ich die Trotzanfälle schon von Emil. Der hatte auch welche gehabt, aber niemals so heftig. Am Anfang fand ich es fast noch süß und witzig. Doch das ließ dann auch recht schnell nach und ich verzweifelte. Erst langsam wird es besser.
Auch heute noch ist Johann ein sehr willensstarkes Kerlchen, der es einem nicht einfach macht, die Ruhe zu bewahren. Darunter muss Emil häufig leiden. Dazu kommt, dass es Johann im Alter von grade mal vier Jahren geschafft hat, Emil vom Gewicht einzuholen. So hat Emil körperlich kaum eine Chance gegen seinen jüngeren Bruder. Beide wiegen etwas über 16 Kilo und sind fast gleich groß. Ich werde nicht selten von fremden Menschen angesprochen ob es nicht sehr anstrengen ist, dass meine Jungs vom Alter her so dicht beieinander liegen.
An einem Morgen im Oktober 2013 – Johann war knapp 21 Monate alt – stand er eines morgens in seinem Gitterbett und rief lauf das Wort „Jajo“. Ich verstand zuallererst gar nicht, was er meinte, bis mir bewusst wurde, dass er nach seinem Bruder rief, der sich grade für den Kindergarten fertig machte. Auch Emil hatte seinen Bruder verstanden und reagierte prompt. Von da an war es für uns als Familie offiziell: Aus Emil war Jajo geworden. Und so ist das bis heute geblieben. 😉
Meine Kinder sind beide unfassbar toll und ich liebe sie bis zum Jupiter und zurück. Sie sind grundverschieden. Jeder von ihnen schafft es auf seine eigene Weise mich in den Wahnsinn zu treiben und jeder von ihnen schafft es genauso, dass mein Herz überquillt vor Liebe zu ihnen. Es sind einfach meine Chaotenkinder!