Die Angst und ich

September 2008 bis heute

Da die Angst in meinem Leben eine zentrale Rolle spielt, verdient sie ein eigenes Kapitel. Aber wie beginnt man ein solches Kapitel am Besten?

Also, zu allererst: ich habe immer Angst, immer. Aber die meiste Zeit über gerät sie in den Hintergrund, sonst würde ich nicht funktionieren können. In unserer Alltagssituation ist sie da, aber auch nicht. Ich weiß einfach nicht, wie ich es besser beschreiben soll. Ich lebe unser Familienleben, erziehe meine Kinder, lache, schimpfe, erledige den Haushalt… Und dann ganz plötzlich – meist ohne Auslöser – ist sie wieder da. Sie raubt mir den Atem und ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Doch diese Momente sind in unserem normalen Familienalltag eher selten. Zum Glück.

Ich bin im Alltag so oft am Limit. Habe keine Kraft und keine Geduld für meine Kinder. An solchen Tagen schimpfe ich viel mit ihnen, schreie sie auch mal an. Ich bin nicht stolz darauf und es tut mir hinterher schrecklich leid. Ich will doch, dass meine Jungs eine glückliche Kindheit haben. Ich nehme mir regelmäßig vor, dass ich mehr Geduld mit ihnen habe und genauso regelmäßig versage ich. Das ist ein schreckliches Gefühl. Besonders wenn ich müde bin, fehlt mir die Kraft und die Energie. Und ich bin oft müde, denn seitdem ich Mutter bin, leide ich unter Schlafstörungen. Mal schlimm, mal weniger schlimm. Ich habe häufig das Gefühl, dass mich die Situation überfordert und ich dem nicht gewachsen bin. Natürlich ist es belastend, ein chronisch krankes Kind zu haben. Oft schafft es mich aber mehr, dass meine Kinder so viel miteinander streiten. Es sind Jungs, sie sind ständig laut, schreien und schlagen sich. Vor allem Johann ist ein wildes Kind. Er ärgert Emil und der kann sich dann nicht anders wehren, als mit Gekreische. Dann werde ich manchmal so wütend auf meine Kinder. Ich habe so oft das Gefühl, dass ich als Mutter eine Komplettversagerin bin. Das meine Kinder mit einer anderen Mutter besser bedient währen. Zum Glück hält dieses Gefühl nicht lange an und irgendwie schaffe ich es immer wieder, aus diesem Strudel der Versagensängste auszubrechen. Dann schnappe ich mir meine Kinder und mache etwas schönes mit ihnen, beispielsweise ein Pommespicknick auf dem Wohnzimmerteppich oder einen Ausflug in die Stadt. 

Alles begann in dem Moment, als uns der Kardiologe fünf Tage nach Emils Geburt sagte, dass wir ihn nicht mit nach Hause nehmen konnten. Denn auf einmal war da nicht nur die normale Angst die dich – zusätzlich zu dem riesigen Glück natürlich  – befällt, wenn du Mutter geworden bist. Wenn du weißt, dass dieses winzige Wesen dein bisheriges Leben komplett auf den Kopf stellen wird. Nein, da war noch etwas anderes. Todesangst! Eine Angst, die dich machtlos werde lässt, die dir den Boden unter den Füßen wegzureißen droht, die dich lähmt. Doch ich lernte – wenn auch langsam – mit dieser Angst zu leben und sie in den Griff zu bekommen. Während Emil ein Baby war, konnte ich noch ganz gut mit ihr umgehen. Ich hatte zwar vor allen Kontrollterminen Schlafstörungen, aber ich steckte das relativ gut weg. Doch je älter er wurde, um so schlimmer wurde die Angst. Auch wenn das was ich jetzt schreibe ganz schrecklich klingten mag, so empfand ich es doch so: je länger Emil bei uns lebte, je älter er wurde, je mehr Charakter er entwickelte, je mehr er unser Kind wurde, je mehr wir ihn liebten umso schrecklicher wurde die Vorstellung ihn zu verlieren.

Es wurde noch viel heftiger an dem Tag, an dem Emil fast gestorben ist. Und das Schlimmste daran war: zu der Todesangst gesellte sich kurzzeitig noch etwas anderes: die Hoffnungslosigkeit. So glaubte ich an diesem Tag tatsächlich für einen Moment, dass mein Kind sterben würde. Zum Glück dauerte dieser Moment nicht an. Und es war Emils unbändiger Lebenswille der mir die Kraft gab, an mein Kind zu glauben. Daran zu glauben, dass er es schaffen würde, dass er stärker war als Stefan und ich. Die Hoffnungslosigkeit verschwand und selbst in den Momenten wo es in seiner Heilung wieder einen Schritt zurück ging, glaubte ich an die Stärke meines Kindes! Das gab mir Hoffnung, Stärke und Kraft die Wochen auf Intensiv zu überstehen. Ich werde oft gefragt, wie ich das alles durchstehen kann, wie ich so stark sein kann, warum ich nicht zusammenbreche. Aber es ist doch ganz einfach: wenn du in dieser Situation steckst, bist du einfach stark. Da gehört nicht viel zu. Du tust es für dein Kind. Punkt!

Trotzdem war es – besonders zu Beginn – furchtbar, als wir nach dieser Erfahrung wieder zu Hause ankamen. Ich lief viele Nächte lang mehrmals rüber in Emils Zimmer um zu kontrollieren, ob er noch atmete. Wenn es richtig schlimm wurde, holte ich ihn zu mir ins Bett. Nach ein paar Wochen besserte sich die Situation zum Glück ein wenig. Bis zu dem Punkt, als ich schwanger wurde. Da kam die Angst mit aller Macht wieder. Und da beschloss ich, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich begann eine Therapie um das Erlebte zu verarbeiten.

IMG_0128Ich war über zwei Jahre in Therapie, mit einigen Unterbrechungen, beispielsweise als Emil den Schrittmacher bekam oder als Johann geboren wurde. Es tat mir gut über alles zu reden. Aber komplett verarbeitet habe ich es während der Therapie wohl nicht. Zu tief saß/sitzt die Angst. Dadurch dass in unser Leben Ruhe einkehrte, war die Angst aber nicht mehr so allgegenwärtig. Ich versuche es mal mit einer Metapher auszudrücken: es war, als ob die Angst zugeschneit worden wäre. Sie war noch da, aber nicht mehr sichtbar. Leider taut der Schnee nun langsam, denn sehr bald wird Emils nächste OP sein. Als mir das bewusst wurde überlegte ich, wie ich verhindern kann, dass ich die nächste Zeit wie ein Zombie der Angst herum laufe. Und so kam mir die Idee, alles aufzuschreiben. Vielleicht in einem Blog, der anderen Familien – die in einer ähnlichen Situation stecken wir wir – auch noch helfen konnte. Und ich muss sagen: es hilft mir, es ist wie Balsam für meine Seele. Ich glaube, dass ich das Erbebte erst jetzt richtig verarbeiten kann. Und das ist ein wirklich schönes Gefühl. Es sind noch zweieinhalb Wochen bis zu dem geplanten Termin von Emils OP und ich bin noch relativ ruhig. Nur hin und wieder meldet sich die Angst. Ich hoffe, dass es so bleibt und nicht noch schlimmer wird!