Reha

Oktober 2012 bis November 2012

Wie bereits erwähnt, leidet Emil aufgrund seines Herzfehlers häufig unter Lungenerkrankungen. Stefan und ich entschlossen uns deshalb, das es für Emil hilfreich wäre, in eine Reha zu fahren. Da man als Mutter eines Herzchens nicht überall hinfahren kann – es muss ein Kardiologe vor Ort sein – fiel unsere Wahl auf Boltenhagen an der Ostsee. Nachdem wir die Reha erfolgreich bei der Krankenkasse beantragt hatten, sollte es Ende Oktober losgehen. Stefan erhielt keinen Urlaub, also fuhr ich mit den Kindern alleine.

IMG_0153Emil war zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alt, Johann neun Monate. Ich sah der Reha mit Skepsis entgegen und freute mich kein bisschen darauf. Drei Wochen weg von zuhause und von meinem Mann… Auch die Jahreszeit reizte mich nicht besonders. Ich bin der Meinung, dass ein Meer dafür da ist, dass man darin baden kan- Und das ist im November an der Ostsee nicht möglich, es sei denn man steht drauf. Auch das Telefonat, das ich mit der Klinik geführt hatte, stimmte mich nicht gerade optimistisch. Die Dame am Telefon hatte mit mitgeteilt, dass es im Ort keine Drogerie geben würde. Aber ohne Drogerie lässt sich – meiner Meinung nach – mit einem Baby kaum überleben. 😉

Am 31. Oktober, an Halloween, ging es los. Stefan wollte uns hinbringen und in der selben Nacht noch zurück nach Hause fahren. Ich hielt das für keine berauschende Idee. Über 1200km an einem Tag? Zum Glück schaffte er es ohne Probleme. Die Hinfahrt war trostlos. Wir kamen gegen 17 Uhr an und es war schon dunkel. Man zeigte uns die Zimmer, in denen ich in den nächsten Wochen mit meinem Jungs wohnen sollte. Es gab einen recht kleinen Wohnraum mit einem Sofa, einem kleinen Tisch, einem Bett  und einem kleinen Schreibtisch, sowie einen Fernseher. Direkt dahinter befand sich noch ein kleiner Raum mit einem Stockbett und einem Tisch mit zwei Stühlen… das Kinderzimmer. Es existierte kein Babybett und auch keine Möglichkeit Johann zu wickeln. Der Boden war aus kargem Linoleum. Ich fühlte mich sehr unwohl. Die Dame, die uns das Zimmer gezeigt hatte, organisierte uns noch ein Babybett und zeigte uns dann den Speisesaal, wo gerade alle Kurgäste beim Abendessen saßen. Ich wurde an einen Tisch geführt, an dem bereits eine Frau mit zwei Jungs, die ungefähr im selben Alter wie meine waren, saßen. Sie stellte sich mir als Bettina vor, ihre beiden Kinder hießen Benedikt und Justus. Später erfuhr ich, dass Benedikt, der älterer, an einem VSD, einem Loch im Herzen gelitten hatte, welches erfolgreich korrigiert werden konnte. Die Küchenhelferin fragte mich, was meine Kinder denn so alles essen durften. Ich erklärte, dass Emil alles vertrug und dass Johann Gläschen und Pre-Milch benötigte. Während ich mit ihr sprach, trug ich Johann auf dem Arm. Sie sah mich seltsam an und erwähnte, dass ich die nächsten Tage Besuch von einem Ernährungsberater erhalten würde. Ich war viel zu verdattert um mich zu wehren. Zu Hause kochte ich für Johann frisch und ab und an aß er schon vom Tisch mit, aber da ich nicht wusste, ob die Großküche in der Kurklinik nicht zu viel Salz verwendete, wollte ich hier lieber auf Gläschen zurückgreifen. Ich verstand nicht, weshalb ich deshalb einen Ernährungsberater benötigte. Das wurde mit erst zwei Tage später klar, doch dazu später mehr. Erst einmal aßen wir zu Abend, Stefan wollte noch mitessen und sich danach auf den Heimweg machen. Bettina schien nett, aber ich fühlte mich so unwohl, dass ich das kaum bemerkte.

Wieder auf dem Zimmer, verabschiedete sich Stefan von uns. Emil war sehr traurig, Johann verstand die Situation natürlich noch nicht und ich war verzweifelt. Am liebstem hätte ich gesagt: „Nimm mich mit, lass mich nicht hier alleine, ich will nach Hause.“ Doch es ging schließlich um Emils Gesundheit, also musste ich stark bleiben. Ich machte meine Kinder bettfertig, gab Johann sein Fläschchen, wartete bis er auf meinem Arm einschlief und kuschelte mich dann noch mit Emil ins Bett. Als beide Kinder schliefen, setzte ich mich vor den Fernseher. Alles sah so grau aus! Die Nacht war grauenvoll, ich machte kaum ein Auge zu. Gegen fünf weinte Johann herzzerreißend, also machte ich ihm ein Fläschchen,und legte ihn dann mit in mein Bett. Dort schliefen wir beide noch ca zwei Stunden, dann war es Zeit aufzustehen.

IMG_0155Wir hatten einen straffen Therapieplan erhalten. Emil sollte direkt nach dem Frühstück zur Ergotherapie, dann zum schwimmen und nachmittags noch zur Physiotherapie. Als ich nach dem Frühstück total gerädert mit beiden Kindern vor der Turnhalle wartete, kam die Therapeutin raus, schaute uns kurz an, zeigte auf Johann und sagte wortwörtlich: „Was ist das denn?“ Ich war viel zu perplex um darauf zu antworten und schaute sie nur groß an. Sie meinte dann noch, dass Geschwisterkinder während der Therapiestunden  in der Kinderbetreuung abgegeben werden müssten, worauf ich erwähnte, dass wir erst am Abend vorher angekommen währen und ich mein fremdelndes Baby ganz sicher nicht irgendwo abgegeben würde, wo es noch nie zuvor gewesen war. Dann würden wir diese Stunde ausfallen lassen müssen, meinte sie noch. Ich war nach diesem Erlebnis noch desillusionierter als am Tag zuvor. Die Schwimmstunde musste ebenfalls ausfallen, weil ich mir noch einen Badeanzug kaufen musste, also hatten wir bis zum Mittagessen frei. Ich nutzte die Zeit, um mir die Kinderbetreuung anzuschauen. Johann wich nicht von meiner Seite, er fremdelte zu diesem Zeitpunkt so extrem, dass er neben mir und Stefan eigentlich nur noch meine Mutter tolerierte. Das Mittagessen war ganz gut, ich saß mit Bettina am Tisch und wir kamen ins Gespräch. Später bekam ich dann noch von einer Mitarbeiterin eine kurze Einführung über die Kurklinik. Emil war während dieser Zeit in der Kinderbetreuung und das klappte ganz gut.

IMG_0158Die nächsten Tage waren nicht mehr ganz so schrecklich. Das Wetter besserte sich und wir erkundeten die Umgebung rund um die Kurklinik. Das Haus lag direkt am Strand und auch in die Stadt kam man ganz gut zu Fuß. Im Sommer ist es dort sicher traumhaft. Zwei Tage nach unserer Ankunft erhielt ich überraschenden Besuch von meinem Bruder, meiner Schwägerin und meinem Neffen, damals grade mal drei Monate alt. Die beiden hatten beschlossen, ein paar Tage Urlaub in Boltenhagen zu verbringen. Ich freute mich sehr darüber und wir unternahmen viel zusammen. Kochten im Ferienapartment meines Bruders oder gingen essen. Als die drei nach ein paar Tagen wieder fahren mussten, war ich sehr traurig.

Kurz darauf erhielt ich den angekündigten Besuch der Ernährungsberaterin. Und endlich klärte sich auf, warum sie eigentlich zu mir geschickt worden war: Es hatte sich ein Fehler im Aufnahmebogen eingeschlichen was das Alter von Johann anging. Man dachte, dass er nicht neun Monate, also 0,9 Jahre, sondern 8,9, also fast neun Jahre alt wäre. Das erklärte zumindest das besorgte Gesicht der Küchenhelferin und die Tatsache, dass bei unserer Ankunft kein Babybett in unserem Zimmer gestanden hatte. Ich musste mich dennoch wundern, denn die Küchenhelferin hatte doch während unseres Gesprächs gesehen, dass ich ein Baby dabei hatte. Jetzt fiel mir auch auf, dass in unserem Therapieplan Johann für Schulunterricht eingetragen war. Man stelle sich das Gesicht der Lehrerin vor, wenn ich Johann einfach mal dort vorbei gebracht hätte. 😉

IMG_0156Nach und nach wurden die Tage besser. Über Bettina lernte ich Mia kenne, die ebenfalls zwei Söhne im ungefähren Alter meiner Kinder hatte.  Jonathan war drei, Maximilian fünf Monate alt. Auch Max hatte einen bereits operierten Septumdefekt, also ein Loch im Herzen. Mit Bettina und Mia ging die Zeit schneller rum und wir hatten viel Spaß zusammen. Tagsüber gingen wir mit den Kindern zum Strand und abends trafen wir uns häufiger, bewaffnet mit drei Babyphonen, und gingen in die Sauna oder ins hauseigene Schwimmbad. Beides durften die Kurgäste am Abend benutzen. Hin und wieder trafen wir uns auch in einem unserer Zimmer um etwas zu trinken, obwohl es eigentlich verboten war Alkohol während der Reha zu sich zu nehmen. Die beiden halfen mir, die Reha zu überstehen.

IMG_0157Das Reizklima tat Emil wirklich gut. Er hustete viel, aber es setzte sich nichts auf den Lungen fest. Wir hielten uns viel draußen auf, gingen am Strand spazieren und warfen Steine ins Meer. Johann lies ich nur in der Kinderbetreuung, wenn ich eine Therapiestunden mit Emil hatte, denn er fühlte sich dort mehr als unwohl. Er weinte schon, wenn ich ihn nur mitnahm um Emil hinzubringen oder abzuholen. Im Gegensatz dazu hielt sich Emil sehr gerne in der Kinderbetreuung auf. Das gab mir die Gelegenheit, viel am Strand spazieren zu gehen um die Ruhe zu genießen und zu entspannen. Ich hatte aus Platzgründen keinen Kinderwagen mitgenommen und trug Johann entweder in der Manduca auf dem Rücken oder vor der Brust im Tragetuch. Johann war ein absoluter Tragling. Er genoß es, so nah bei mir zu sein und schlief meistens nach kurzer Zeit ein. Ich genoß die Zeit alleine mit meinem Baby sehr.

Nach drei Wochen, am 20. November, holte Stefan uns ab um uns nach Hause zu bringen. Emil freute sich wie ein Schneekönig, als er seinen Papa nach all der Zeit endlich wieder sah. Johann schaute ersteinmal groß, schien sich dann aber doch an seinen Vater zu erinnern. Die Rückfahrt war Streß pur. Emil musste durch den Schleim, den er durch den Husten produzierte, viermal ins Auto brechen. Als wir endlich in Siegen landeten, war die komplette mögliche Erholung dahin. 🙁