Schule

Winter/Frühjahr 2017

Zum Endes des Winters kristallisierte sich immer mehr heraus, dass Emil das Klassenziel der zweiten Klasse nicht erreichen würde. Er hatte starke Probleme in Mathematik und auch das Lesen und Schreiben lernen fiel ihm nicht grade leicht. Im Nachhinein bin ich mir ziemlich sicher, dass durch all die schlimmen Dinge, die er in seinem jungen Leben schon erdulden musste, doch ein paar Schwierigkeiten zurück geblieben waren. Es ist wohl kaum möglich Stunden an der Herz-Lungen-Maschine und einen 45 minütigen Herzstillstand komplett ohne Komplikationen zu überstehen.

Die Frage war nun, wie es weitergehen sollte. Emils Klassenlehrerin riet zu einer Rückstellung zum Anfang des neuen Schuljahres. Ich sah ein, dass diese Entscheidung richtig war, konnte mich aber mit dem Gedanken nicht ganz anfreunden, dass das in dieser Schule stattfinden sollte. Also begann ich nach Alternativen zu suchen, die das Beste für mein Kind waren. Die Lehrer der Regelschule taten ihr Möglichstes um meinem Kind gerecht zu werden, aber ich hatte das Gefühl, dass das in seinem Fall nicht ausreichend war. Schon während meines Studiums war ich positiv angetan von der Montessori Pädagogik, mir gefiel beispielsweise deren Leitsatz: „hilf mir, es selbst zu tun“ sehr gut.

Also vereinbarte ich mit der hiesigen Montessori Schule einen Hospitationstag um mir die Schule genauer anzusehen und ein paar Unterrichtsstunden mitzuerleben. Anfang März war es soweit und ich muss sagen, dass ich von deren Arbeit begeistert war. Durch die Alltagsmischung die in den Klassen herrschte, hatten die Kinder einen komplett anderen Umgang miteinander. Sie halfen einander, lernten frei zu arbeiten und trotzdem lief der Unterricht. Außerdem würde Jajo dann mehr der Kleinste in der Klasse sein! Leider machte mir die Schulleiterin vorerst alle Hoffnungen zunichte, es handele sich zwar um eine staatliche Schule aber die Integrationsplätze wären leider aktuell alle besetzt. Und ein Kind wie Emil brauche auf jeden Fall einen Integrationsplatz. Ich ließ mich auf die Warteliste setzten und die Rektorin versprach sich zu melden, sollte ein Platz frei werden. Ich solle mir allerdings erstmal keine allzu großen Hoffnungen machen, sagte sie mir zum Abschied.

Knapp zwei Wochen später klingelte das Telefon und man bot uns tatsächlich einen Integrationsplatz nach den Sommerferien an! Ich war überglücklich, auf dieser Schule würde mein Kind endlich die Chance bekommen, ein relativ normales Leben zu führen. Jetzt hieß es nur noch, Emil beizubringen, dass er nach dem Sommer die Schule wechseln würde. Doch Emil nahm die Nachricht tatsächlich sehr gut auf und freute sich auf den Schulwechsel. Er hatte seine alte Schule zwar relativ gerne besucht, dort aber nie wirkliche Freunde finden können. Er war nicht unbeliebt, aber auch nicht voll involviert. So gab es beispielsweise drei Mädchen in seiner Klasse, die ihn immer wieder ärgerten mit Sätzen wie „alle hassen dich“ oder „du darfst aber nicht mitspielen“. Emil litt sehr darunter, auch wenn er es selten erzählte. Kinder können grausam sein und meinem Sohn fällt es schwer, sich bei sowas zu wehren. Er hat einen viel zu lieben Charakter um ebenso fies zu sein.

Vor den Sommerferien durfte Emil einen Tag in seiner neuen Klasse hospitieren. So wusste er, wohin er nach den Ferien gehen würde und lernte seine neuen Klassenkameraden schon mal im Vorfeld kennen. Als ich ihn nach vier Stunden abholte, lief er mir mit einem Strahlen im Gesicht entgegen und meinte, er habe schon einen neuen Freund.

Der Schulwechsel klappte problemlos, Emil lies sich sehr schnell auf die neue Schule ein. Dort werden ihm ganz andere Möglichkeiten geboten, schon alleine weil der Personalschlüssel viel höher ist als in der Regelschule. Es sind immer zwei Lehrkörper in der Klasse und zusätzlich noch mindestens eine Integrationskraft, so dass er immer einen Ansprechpartner hat. Frontalunterricht findet nur in wenigen Fächern statt und die Lehrer können speziell auf ihn und seine Bedürfnisse eingehen. Inklusion wird in dieser Schule groß geschrieben, so besuchen auch Kinder mit Down-Syndrom oder anderen Behinderungen diese Schule. Die Lehrer unterstützen Emil dabei, Kontakt mit anderen Kindern aufzubauen, achten darauf, dass er in der Pause nicht alleine steht, und helfen bei der Bewältigung möglicher Konflikte.

Stefan und ich entschieden uns, Emil dieses Mal auch in der OGS, also der Betreuung nach der Schule, anzumelden. Und auch diese Entscheidung haben wir bis jetzt nicht ein einziges Mal bereut. Ich stehe im engen Kontakt mit den Mitarbeiterinnen der OGS und weiß dadurch immer, wie es meinem Kind dort geht. Es ist ein bisschen so wie im Kindergarten. Die Hausaufgaben erledigt er in der Betreuung und wenn ich ihn um drei Uhr abhole, hat er Freizeit und muss sich nicht mehr damit rumärgern.

Emil ist endlich angekommen. Er hat in seiner neuen Klasse und in der Betreuung endlich Freunde gefunden. Er spielt nach wie vor lieber mit Mädchen als mit Jungen und durch die Altersmischung der Klassen spielt das Alter keine Rolle mehr. So ist seine neue beste Freundin beispielsweise schon elf Jahre alt.

Wir sind sehr glücklich, dass wir diesen Schritt gewagt haben. Und Johann wird ab nächstem Jahr ebenfalls die Montessori Schule besuchen. ❤️