Das Loch im Herzen

August 2015

IMG_0179In dem Kindergartenjahr, welches wir Jajo durch die Rückstellung ermöglicht hatten, tat sich einiges in seiner Entwicklung. Sowohl motorisch als auch kognitiv machte er riesige Fortschritte. Er war immer noch zu klein und vor allem zu leicht für sein Alter, aber er holte auf. Und was mich am meisten erfreute: er begann, sich auch mal Dinge zuzutrauen. Hatte er früher ganz oft von vorne herein gesagt „Ich kann das nicht“, so versuchte er es jetzt zumindest vorher. Auch in der Ergotherapie klappte es nun besser.

Trotzdem machte ich mir Sorgen. Wir gingen wie gehabt alle drei Monate zur Kontrolle nach Gießen, aber es war über zwei Jahre her, dass bei Jajo ein Herzkatheter durchgeführt worden war. Außerdem fiel mir immer deutlicher auf, dass Emil trotz aller Fortschritte weniger Kraft zu haben schien. Er war beispielsweise viel schneller außer Atem, als dies im Jahr davor der Fall gewesen war. Im Frühjahr 2015 besprach ich das bei einer Kontrolle mit unserem behandelnden Kardiologen. Er erwiderte, dass der Chef der Kinderkardiologie demnächst in Rente gehen würde und sich vorher gerne nochmal Emils Herz ansehen wolle. Er versprach, sich um einen Termin für einen Katheter zu kümmern.

Doch der Zufall kam uns dazwischen. Ich habe ja bereits im Kapitel „Zwischenfälle“ berichtet, dass Emil Anfang Mai mit einer Tachykardie in Gießen behandelt werden musste. Und während dieses Krankenhausaufenthalts entschieden sich die Kardiologen zusammen mit dem Chef der  Kinderkardiologie, dass sie in den nächsten Tagen einen Katheter durchführen wollten. Es sollten während des Katheters zwei Dinge gemacht werden: zum einen würden die Ärzte versuchen die Leitungen, die für Jajos Herzrythmusstörungen verantwortlich sind, zu veröden und zum zweiten sollte ein Loch in seine Herzscheidewand gebort werden. Dieses Loch würde den Druck, der durch die zu enge Mitralklappe in Emils Herzen herrschte, verbessern um so die Lunge zu entlasten. Man wollte meinen Kind also künstlich einen VSD zufügen. Da wir den Kardiologen in Gießen und vor allem dem Chef der Kardiologie vollstes Vertrauen entgegenbringen, hatte Stefan und ich wenig Bedenken.

Dummerweise musste der Katheter aber während unseres drei Tage dauernden Aufenthalts zweimal verschoben und am Ende fürs Erste abgesagt werden. Es kamen immer wieder irgendwelche Notfälle dazwischen. Deshalb wurde Jajo auch erstmal auf die neuen Medis eingestellt und wir durften nach Hause gehen. Man würde sich aber melden, sobald ein Termin frei war. Das Problem lag jetzt darin, dass das Katheterlabor chronisch überlastet ist und Termine schwer zu bekommen sind.

IMG_0186Ich wartete also. Mittlerweile war es Sommer geworden und ich hatte immer noch nichts aus Gießen gehört. Nach ein paar Wochen hielt ich es nicht mehr aus und fragte telefonisch nach. Und tatsächlich: Vier Tage später erhielten wir einen Termin für Anfang August, eine Woche vor Emils Einschulung. Dummerweise erkranket Emil zwei Tage vor dem geplanten Termin an einer Bronchitis. Zum Glück erhielten wir einen Ausweichtermin Mitte August, in Jajos zweiter Schulwoche.

Diesmal fand der Katheter planmäßig statt. Der Kardiologe erklärte uns im Aufklärungsgesprach das geplante Vorgehen. Die Verödung der Reizleitung sei erst einmal zweitrangig, diesmal gehe es nur um das Loch im Herzen. Wir sollten uns auf ca. eineinhalb Stunden Wartezeit einrichten. Emil war gegen Mittag dran. Er war guter Dinge, denn er ist immer gerne auf Czerny, der mag die Schwestern dort und freut sich jedesmal auf das Spielzimmer und Andrea. Außerdem liebt er es, mit seinem Bett spazieren gefahren zu werden. Stefan und ich gaben Emil im Kathetelabor ab und warteten noch, bis das Dormicum wirkte. Dann verließen wir ihn, wohlwissend, dass er sich in guten Händen befand.

Nach ca eineinhalb Stunden sagte uns eine Schwestern das er fertig wäre und wir sie begleiten konnten um ihn abzuholen. Zum Glück hatten wir noch ein paar Minuten um uns mit unserem Kardiologen zu unterhalten. Es war alles gut gegangen, man hatte es tatsächlich geschafft ein Loch zu platzieren. Ob es allerdings helfen würde, sollten wir in den nächsten Tagen und Wochen beobachten.

Emil schlief noch, als wir ihn nach oben brachten. Nach ca einer Stunde wurde er aber leider durch das Messen des Blutdrucks geweckt. Er war ziemlich neben der Spur, sah Dinge, die nicht da waren. So fragte er mich beispielsweise: „Mama, warum hast du drei Augen?“ Nach einer weiteren Stunde wurde es aber besser, kurz darauf durfte er trinken und essen und am nächsten Tag konnten wir das Kinderherzzentrum planmäßig verlassen.