Ein fast normales Leben

Dezember 2008 bis September 2010

Die erste Nacht zu Hause  hat sich mir für immer ins Gedächtnis gebrannt. Mir war schon auf Station aufgefallen, dass mein Baby ein Trauma davon getragen zu haben schien. So konnte ich ihn nicht hinlegen, ohne dass er sofort zu weinen begann. Ich hielt ihn deshalb im Krankenhaus die meiste Zeit im Arm. Zu Hause besserte sich die Situation nicht. Auch wenn Emil friedlich auf meinem Arm zu schlafen schien, sobald ich ihn vorsichtig ablegen wollte, wachte er auf und begann zu weinen. Selbst auf der Wickelkommode wollte er nicht mehr liegen, was früher niemals ein Problem dargestellt hatte. Die erste Nacht zu Hause verbrachte ich also bis drei Uhr morgens sitzend in einem Sessel, dann schien der kleine Wurm so fest zu schlafen, dass ich mich traute ihn in sein Bettchen zu legen. Das ging diesmal auch eineinhalb Stunden gut, bevor er erneut erwachte. Da ich selber total übermüdet und fertig war weckte ich Stefan, damit er mich ablösen konnte.

Am nächsten Tag kamen meine Mutter und meine Schwiegermutter, sie wollten den kleinen Schatz nach seinem erneuten Aufenthalt im Krankenhaus gerne auch nochmal sehen. Dennoch behielt ich mein Kind instinktiv die ganze Zeit im Arm. Ich habe heute noch Emils misstrauischen Blick in Erinnerung, als meine Mutter sich über ihn beugte um ihn anzuschauen. Es hatten einfach zu viele Schwestern und Ärzte an ihm rumgedoktert.

In der zweiten Nacht schien sich das ganze zu wiederholen. Stefan und ich waren so verzweifelt, dass wir in Gießen anriefen und fragten, ob er denn noch Schmerzen haben könnte oder was sonst mit ihm los sein könnte. Natürlich konnten die Ärzte keine Ferndiagnose stellen und wir blieben ratlos zurück. Um ein Uhr nachts schlief er schließlich ein, diesmal tatsächlich für drei bis vier Stunden. Von da an würde es besser.

IMG_0090Wir legten Emil in der Zeit danach oft auf den Wickeltisch und spielten mit ihm, streichelten ihn und redeten mit ruhiger Stimme auf ihn ein, ganz einfach um ihm die Angst zu nehmen und sein Vertrauen wieder zu erwecken. Und tatsächlich: es wurde von Tag zu Tag besser.

Trotzdem: Im Nachhinein betrachtet habe ich in dieser Zeit so viele Fehler begangen, die ich heute selber nicht mehr begreifen kann. So hätte ich Emil heute einfach mit in mein Bett genommen und ihn solange im Arm gehalten wir es eben nötig gewesen wäre. Damals habe ich das nicht gemacht, warum weiß ich nicht. Vielleicht aus Angst ihn zu verwöhnen? Weil ich der Situation einfach nicht gewachsen war?  Heute habe ich ständig ein Kind im Bett, manchmal sogar zwei, je nachdem wer Nachts halt so rüber kommt :-). Wie auch immer, ich bereue mein damaliges Verhalten zutiefst und wünsche mir oft, in der Zeit zurück reisen zu können um dies zu ändern…..

Eine weitere Änderung nach diesem Krankenhausaufenthalt war die Medikamentengabe. Ich musste mich erstmal daran gewöhnen, Medikationen an mein winziges Baby zu verabreichen. Zum Glück waren diese Medis – wie beispielsweise das Lasix – nur postoperativ zu verabreichen und konnten nach und nach ausgeschlichen werden.

Auch an die riesige Narbe musste ich mich erstmal gewöhnen. War die Narbe nach der ersten OP noch kaum zu sehen gewesen, weil sie sich unter Emils linkem Arm befindet, diese hier fiel/fällt auf. Sie war unmittelbar nach dem Eingriff groß und rot und dick und zeigte mir jeden Tag aufs neue, was unser Kind  hatte durchmachen müssen. Was wir hatten durchmachen müssen. Mit der Zeit verblasste sie und ist nun natürlich nicht mehr so erschreckend, aber am Anfang wirkte das eben so auf mich.

IMG_0091Emil erholte sich alles in allem sehr schnell von der OP und so langsam aber sicher hielt der Alltag bei uns Einzug. Endlich! Wir führten ein fast normales Leben mit unserem Baby. Stefan ging arbeiten, ich blieb bei Emil und der entwickelte sich stetig weiter. Er wuchs zwar nicht so schnell wie andere Babys seines Alters und nahm weniger zu, dennoch genoss ich diese Zeit sehr. Wir trafen uns mit anderen Mamis und deren Babys und lebten unser Leben, fast so wie jede andere Familie auch. Einmal im Monat mussten wir zur Kontrolle, doch diese konnte in Siegen durchgeführt werden, was die ganze Sache sehr vereinfachte.

Bei der U5 bemängelte der Kinderarzt Emils nicht ganz altersgerechte Motorik und so wurden wir zur Physiotherapie geschickt. Doch auch das stellte für mich kaum ein Problem dar, schließlich profitierte unser Sohn davon. Das einzige Manko sah ich darin, dass wir nach Vojta therapiert wurden, was für mich als Mutter manchmal sehr schwer zu ertragen war. Schließlich musste ich mein Kind dabei festhalten, was Emil, inzwischen sieben Monate, so gar nicht gefiel. Dennoch: auch diese Hürde nahmen wir.

IMG_0094Inzwischen war es Sommer geworden und Emils Geburtstag rückte immer näher. Bei den nun nur noch alle zwei Monaten stattfindenden Kontrollen in der Kinderklinik blieb alles unverändert, was in unserem Fall immer gut ist und so langsam würde ich alles in allem ruhiger. Die Angst fraß mich nun nicht mehr so sehr auf wie zu Beginn von Emils Herzproblematik. Emil lernte stetig dazu, er robbte und rollte mittlerweile durchs Zimmer, nur aufstehen wollte er noch nicht so recht. Stefan und ich machten uns da aber auch keinen Stress, wir wussten, dass das noch früh genug passieren würde. Und siehe da: Mitte Oktober 2009 konnte Emil plötzlich krabbeln, Ende November zog er sich zum Stehen hoch und im Mai des darauffolgenden Jahres konnte er laufen.

Im Dezember 2009 fing sich Emil einen schlimmen Infekt ein. Er hustete sehr stark, röchelte und schien außerdem keine Luft zu bekommen. Spät abends wurde die Situation noch dramatischer. Da ich ziemliche Angst bekam entschieden sich Stefan und ich mit Emil die Kinderklinik aufzusuchen. Dort angekommen, wurde bei unserem Sohn eine Bronchitis diagnostiziert, die erste von vielen. Er wurde stationär aufgenommen, denn die Ärzte wollten aufgrund seines Herzfehlers kein Risiko eingehen. Zum Glück wär ein Eltern/Kind Zimmer frei und so konnte ich bei ihm bleiben. Stefan fuhr nach Hause um ein paar Dinge für uns zu holen und Emil musste zum ersten mal in seinem Leben inhalieren. Wir blieben vier Tage in der Kinderklinik – in denen Stefan seinen vierzigsten Geburtstag feierte – bis sich Emils Zustand endlich besserte.  In dieser Zeit fing sich Emil – nicht untypisch bei Krankenhausaufenthalten – noch zusätzlich einen Magen-Darm-Infekt ein. Und ich steckte mich prompt an. So kam es, dass Stefan mich in der Nacht vor Emils Entlassung abholen musste, weil es mich so richtig doll erwischt hatte. Das war eine sehr lustige Heimfahrt…. 🙁 Am nächsten Tag durfte Emil dann auch endlich nach Hause. Wir fuhren ein paar Monate später noch ein weiteres Mal Nachts in die Kinderklinik weil Emil während eines Infektes kaum Luft bekam, doch dieses Mal handelte es sich zum Glück nur um einen Pseudokrupp Anfall und wir durften das Krankenhaus wieder verlassen.  

IMG_0092Inzwischen war Emil zu einem wirklich süßen Kleinkind herangewachsen. Er machte uns viel Freude und die Sorgen traten immer weiter in den Hintergrund. Stefan und ich schauten uns in dieser Zeit nach einem Haus um, welches wir für unsere Familie kaufen konnten, denn Emil sollte nicht unser einziges Kind bleiben. Wir wurden sehr schnell fündig und kauften unser Fast-Traumhaus im April 2010. Es gab allerdings noch einiges zu tun, denn das Haus ist Baujahr 1962 und wurde zuvor von einer alten Dame bewohnt. Den Sommer verbrachten wir mit renovieren, da mussten Fließen rausgehauen und Tapeten abgerissen werden, die Elektrik neu gemacht und eine neue Küche und ein neues Bad eingebaut werden. Ende Oktober 2010 wollten wir einziehen.
IMG_0095In dieser Zeit fiel unserer Kinderkardiologin bei einem der Kontrolltermine auf, dass sich Emils Werte verschlechtert hatten. Sie vereinbarte mit dem Kinderherzzentrum Gießen einen Termin für ein MRT, welcher im September 2010 stattfinden sollte.