Intensivstation 2.0

21. April

Wir sitzen im Elternzimmer und warten. Alles ist wieder da, alle Erinnerungen von vor fünf Jahren. Der penetrante Geruch des Desinfektionsmittels, die Geräusche der Monitore, das Piepsen der Perfusoren erinnern an damals. Aber es ist für mich weniger schlimm als ich erwartet hatte. Ich konnte mich recht schnell wieder „eingewöhnen“.


Die Uhren auf der Intensivstation laufen anders. Meine Uhr läuft nun auch anders. Ich bin in einer völlig anderen Welt, der Welt der Intensivstation. Ich stehe gegen acht Uhr morgens auf, dusche, mache mich fertig, ziehe mich an. Gegen halb zehn mache ich mich auf den Weg zum Krankenhaus, hole meine Essensmarken für den Tag auf Czerny ab und gehe in der Cafeteria frühstücken. Da ich mit Emil im Krankenhaus aufgenommen bin, stehen mir als Begleitperson drei Mahlzeiten täglich in der Cafeteria zu. Um halb elf darf ich zu Jajo. Wenn Mittagspause ist gehe ich entweder in die Stadt oder in mein Apartment, um halb zwei mache ich mich zum Mittagessen auf den Weg in die Klinik. Danach darf ich wieder zu Emil. Wenn um sieben dort Schluss ist, kaufe ich kurz noch ein, besorge mir was zu essen und verbringe den Rest des Abends im Apartment mit fernsehen oder dem iPad. So in etwa sieht mein Tag zur Zeit aus.

Das einzige was auf Intensiv noch immer sehr an den Nerven zerrt ist das Warten. Da aber in unserem Zimmer maximal fünf Kinder liegen können anstatt sechs, verbringen wir deutlich weniger Zeit mit Warten im Elternzimmer als damals. In unserem Intensivzimmer liegt ein kleiner Knirps tief sediert an einem Kunstherzen. Diese Maschine benötigt sehr viel Platz, weshalb es eben „nur“ fünf Plätze sind.


Die Besuchszeiten sind noch weiter reduziert worden. Man darf vormittags zwischen halb elf und viertel nach zwölf zu seinem Kind. Dann ist eine lange Mittagspause. Um halb drei geht es weiter, bis sieben, dann fliegt man raus. Und wie immer ist es so, dass man raus muss wenn ein Kind aus dem OP hochkommt oder ein Notfall eintritt.

Zur Zeit liegen auf der Intensivstation sehr viele Kinder mit Migrationshintergrund. Einige kamen als Flüchtlinge her und haben harte Schicksale hinter sich. Die dazugehörigen Eltern sprechen oft kein Deutsch, ein Paar spricht noch nicht mal englisch. Das macht die Situation hier teilweise sehr schwierig. Schwierig für die Ärzte, schwierig für das Pflegepersonal. Und auch schwierig für uns Eltern, denn dadurch herrscht im Elternzimmer oft eine sehr hohe Lautstärke. Jeder spricht in seiner Sprache, viele telefonieren auch mit ihren Angehörigen in der Heimat. Oft sitzen ganze Familien da und warten, debattieren dabei lautstark. Zu den Kindern dürfen sie nicht, zur Zeit sind nur Mama und Papa als Besuch erlaubt, man möchte das Infektionsrisiko senken. Denn vor ein paar Wochen musste die ganze Intensivstation wegen der Influenza unter Quarantäne gesetzte werden. Ich kann verstehen, dass diese Familien die kranken Kinder unterstützen möchten. Das geht unseren Familien ja nicht anders. Nur sitzen unsere Familien nicht im Elternzimmer und unterhalten sich laut. Diese momentane Situation macht einem oft unmöglich, ein normales Gespräch zu führen. Und gerade wenn es dem eigenen Kind sehr schlecht geht und man sich Sorgen macht, möchte man einfach nur etwas Ruhe. Doch die ist im Elternzimmer kaum zu finden.

Jetzt wo es Emil etwas besser geht, leide ich wieder sehr viel mit den anderen Kindern und ihren Eltern. Viele schlimme Schicksale sind um mich herum, das ist manchmal kaum auszuhalten. Trotzdem höre ich den Eltern zu und versuche sie zu trösten wenn es nötig ist. So war es auch damals hier auf Intensiv, das gehört einfach dazu. Wieder nehme ich wildfremde Mütter und Väter in den Arm, sollte es nötig sein. Wieder freue ich mich für jedes Kind, das auf Czerny darf.  Wie gesagt, auf der Intensivstation laufen die Uhren anders…..