Intensivstation

13. Januar bis 21. Februar 2011

IMG_0080Die Tage auf der Intensivstation waren lang und emotional sehr anstrengend. Mir machten uns meist morgens gegen halb zehn auf den Weg, vorher hatte man kaum eine Chance sein Kind sehen zu dürfen. Aber auch nach halb zehn  war das reine Glückssache. So startete zwischen halb zehn und halb elf meist die Visite, in dieser Zeit mussten wir Eltern im Elternzimmer warten. Da der Raum, in dem Emil lag ,ein Sechsbettzimmer war, dauerte die Visite dementsprechend lang. Danach konnte man rein, sofern kein Notfall war oder kein Kind aus dem OP hoch kam. Um halb eins musste man erneut gehen, denn dann fand die Schwesternübergabe statt. Diese dauerte bis zwei. In der Zeit gingen Stefan und ich später, als Emil stabiler war, meistens in die Stadt um in der Kantine von Karstadt Mittag zu essen. So lernten wir Gießen nach und nach recht gut kennen. Mach der Mittagspause konnten wir unseren Sohn sehen, sofern keiner der oben genannten Fälle dies verhinderte. Viertel vor drei/drei begann die Ärzteübergabe. Gleiches Spiel wieder. Gegen vier konnte man bis zum Ende der Besuchszeiten um halb Acht bei seinem Kind sein, sofern nichts dazwischen kam. Die meiste Zeit des Tages saßen wir also im Elternzimmer. Dieses bot die Möglichkeit Kaffee zu kochen, verfügte über eine Herd und einen Kühlschrank. Für die Sauberkeit des  Elterrnraums waren die Eltern selber zuständig und meist klappte das auch.

Mit Emil ging es in kleinen Schritten bergauf. Nachdem der Abgang vom ECMO geglückt war, ließen die Ärzte den Thorax noch weiter offen, zu schlimm waren die Schwellungen der Organe. Diese Situation ängstigte mich enorm und so war ich unfassbar froh, als der Brustkorb am Sonntag, drei Tage nach dem Abgang vom Ecmo, endlich verschlossen wurde. Die Lunge hatte sich inzwischen recht gut erholt und es deutete nichts auf Folgeschäden an den anderen Organen hin. Der Blutdruck besserte sich zusehends. Allerdings litt unser Wurm mittlerweile an hohem Fieber. Das Personal der Intensivstation versuchte, diesen Zustand mit Kühldecken und indem sie unser Kind auf Eis legten in den Griff zu bekommen. Teilweise hatte Emil dadurch eine Körpertemperatur von 34,7 Grad.

Obwohl unser Wurm bei jeder Schwesternübergabe umgelagert wurde, bekam er relativ schnell Druckstellen. Eine entdeckte ich unter den Haaren, als ich ihn streichelte. Eine weitere hatte er am Steiß. Zum Glück ließen die sich gut behandeln und bis auf eine kleine Narbe am Steißbein sieht man nichts mehr davon.

Inzwischen versuchten die Ärzte, die Narkose weiter zu reduzieren. Manchmal bewegte sich Emil und ich gewann den Eindruck, dass er auf Stefan und mich reagierte. Wir sprachen viel mit ihm oder sangen ihm Lieder vor.

Während der ersten zwei Wochen wagten die Ärzte keinerlei Prognose was Emils Zukunft anging. So konnte uns niemand sagen, ob unser Kind bleibende Schäden davon tragen würde. Im MRT war eine minimale Hirnblutung zu erkennen gewesen und auch im EEG waren leichte Auffälligkeiten zu sehen. Diese  Angst brachte mich fast um den Verstand. Überall sah ich nun behinderte Menschen und ich begann mich zu fragen ob ich dem gewachsen wäre….

In der Zeit in der Emil intubiert war, musste ihm mehrmals täglich der Schleim aus der Lunge gesaugt werden. Der arme Kerl röchelte manchmal, als hätte er jahrelang Kette geraucht. Zwar war unser Kind während des Absaugens noch in Narkose, aber man merkte ihm deutlich seine Abneigung gegen diesen Vorgang an. Er wehrte sich so gut es ging und kämpfte dagegen an. Bei einer dieser Absaugungen fiel mir auf, dass er seinen linken Arm und sein linkes Bein so gut wir gar nicht nutzte. Die rechte Seite ruderte gegen diesen Vorgang an, doch die Linke blieb liegen.  Im Gespräch mit den Ärzten versprach man mir, in Zukunft darauf zu achten. Nun ja, dachte ich mir, sollte diese Lähmung das einzige sein was von dem Herzstillstand übrig geblieben war, so konnte ich damit gut leben. Doch Emils  Bewegungsapperat besserte sich je wacher er wurde. Erst bewegte er sein linkes Bein, später auch seinen linken Arm. Die Physiotherapie unterstützte ihn zusätzlich. Wir waren überglücklich.

IMG_0051Trotzdem. So ganz ohne Komplikationen ging der Heilungsprozess nicht von statten. So lies sich beispielsweise der externe Schrittmacher, welchen Emil seit der OP hatte, nicht abschalten ohne das sein Herz aus dem normalen Sinusrythmus in einen Ersatzrythmus fiel. Dieses Problem lies sich medikamentös nicht behandeln. Und so beschlossen die Ärzte, ihm einen internen Schrittmacher einzusetzen. Am 30. Januar fand die OP statt, kurz danach sollte unser Wurm dann auch endlich extubiert werden. Aber auch hier ging nicht alles glatt. So klappte die Einstellung des Schrittmachers nicht ohne weiteres. Außerdem bekam der Wurm am zweiten Februar  Vorhofflimmern während wir ins im Raum befanden. Diesen Moment werde ich ebenfalls niemals vergessen. Ganz plötzlich schnellte die Herzfrequenz ins Unermessliche hoch. Die Monitore schlugen Alarm und wir mussten den Raum verlassen. Ich hatte Todesangst denn wir wussten ja nicht, was mit Emil los war. Nach einer viertel Stunde dann endlich kam die Entwarnung der Kardiologin die uns mitteilte, dass die Frequenz  nun wieder im Normalbereich lag. Man müsse nun beobachten, ob diese Situation einmalig gewesen sei oder noch einmal auftrete. Tatsächlich passierte es noch ein weiteres Mal. Und so fanden die Chirurgen und Ärte der Intensivstation schließlich heraus, dass Emils Herz tatsächlich wieder von allein in den Sinusrythmus gefunden hatte und er den Schrittmacher gar nicht mehr benötigte. Ende Februar wurde dieser deshalb wieder entfernt.

Eine weitere – wenn auch kleinere Komplikation die Emil mitnahm – war ein sogenannter Chylothorax.  Der Lymphkanal auf der linken Seite war durch die OPs so geschädigt worden, dass Emil eine Drainage in der Brust stecken hatte, durch die mehrmals täglich die überschüssige Lymphflüssigkeit abgesaugt werden musste. Bis zur vollständigen Heilung durfte Emil oral kein Fett zu sich nehmen.

Am dritten Februar konnte Emil schließlich endlich extubiert werden. Mein Kind wieder alleine atmen zu sehen war ein unbeschreibliches Gefühl. Nun konnte er auch wieder auf dem Bauch schlafen, was er sichtlich genoss. Die ersten paar Tage nach der Extubation hatte unser Wurm erstmal keine Stimme, doch nach und nach kehrte diese zurück. Erst konnte er nur flüstern, nach ein paar Tagen kam ein heiseres Kratzen und schließlich kamen wieder richtige Töne aus seinem Mund.

IMG_0078Am vierten Februar fragte mich eine Schwester, ob ich Emil zum ersten Mal seit der OP im Arm halten wolle. Und wie ich das wollte. Ich seufze mich in einen Stuhl mit Armlehnen, polsterte meinen Unterarm mit einem Kissen und bekam meinen Wurm von der Schwester in den Arm gelegt. Er war so zerbrechlich, so zart, so dünn. Endlich konnte ich mein Kind wieder spüren, es war ein unbeschreibliches Gefühl. Da er noch ziemlich benommen von der Narkose war, fixierte er mich kaum, ich war mir nicht mal sicher ob er wusste wo er sich befand. Von da nahm ich Emil täglich auf den Arm und von Tag zu Tag wurde er klarer. Als er einmal von einer Schwester wieder in sein Bett gelegt wurde, protestierte er deutlich mit den Worten: „nein, Mama Arm besser.“ Da wusste ich, dass er mehr mitbekam als ich es mir erhofft hatte.

IMG_0081Nun wurde auch die Sedierung immer weiter ausgeschlichen. Das bereitete Emil allerdings erhebliche Probleme. So brauchte  er sehr lange für den Entzug, schließlich war er mittlerweile abhängig  von den Medikamenten geworden. Während des sogenannten Durchgangs reagierte er wenig auf uns, konnte uns nicht mit den Augen fixieren und wirkte geistig abwesend. Wir wussten wieder nicht, ob unser Kind jemals wieder werden würde wie es gewesen war. Vielleicht hatte er doch bleibende Schäden davon getragen? Emil bekam erneut ein EEG, welches soweit ohne Befund blieb. Das mich an einem Nachmittag eine junge Assistenzärztin mit den Worten: „Er gefällt uns aber noch gar nicht, Frau Stock, wir möchten das weiter beobachten.“ zur Seite nahm, war auch nicht besonders hilfreich. Als ich das einer Schwester – welche schon jahrelang auf Intensiv tätig war – erzählte, konnte die mich allerdings wieder beruhigen. Emils verhalten wäre ganz normal für ein Kind auf Medikamentenentzug, ich solle mir erstmal keine Sorgen machen. Und tatsächlich, sie behielt Recht. Nach und nach kamen die Charakterzüge unseres Kindes wieder zum Vorschein. So zeigte er beispielsweise auf das Rollo der Intensivstation. Emil liebte vor dem Krankenhausaufenthalt Rollos, hatte schon immer mit Begeisterung drauf gehauen und sie hoch und runter gezogen. Das und andere Kleinigkeiten ließen mich erkennen, dass unser Wurm immer noch der Selbe war. Stefan und mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen.

IMG_0079Nach vier Wochen Intensiv ging es Emil wieder soweit gut, dass Stefan und ich beschlossen, dass Stefan zurück nach Siegen kehren würde um wieder arbeiten zu gehen. Er kam an den Wochenenden und an einem Abend in der Woche nach Gießen um uns zu besuchen. Während der Zeit auf Intensiv erhielten wir zudem sehr viel Unterstützung von unseren Familien und Freunden. Am Wochenende kamen hin und wiedermeine Mutter, meine Schwiegermutter, mein Bruder mit seiner Freundin und mein Schwager, um Emil zu besuchen. Da immer nur zwei Personen zu Emil ans Bett durften, saßen wir während dieser Zeit viel gemeinsam im Elternzimmer. Für unsere Familien war vor allem der erste Besuch bei Emil hart. Natürlich hatten Stefan und ich sie darauf vorbereitet wie Emil aussehen würde, dennoch traf es sie sehr. Meine Mutter hielt sich noch tapfer, aber mein Bruder musste weinen, als er Emil zum ersten Mal sah. Unser Wurm befand sich  zu diesem Zeitpunkt mitten in seinem Entzug, er zitterte unkontrolliert und konnte nicht fixieren. Trotzdem war uns unsere Familie in dieser Zeit eine große Stütze!

Am 21. Februar 2011 schließlich, eine Woche nachdem Stefan wieder angefangen hatte zu arbeiten, kam Emil dann endlich hoch auf Czerny, der normalen Station des Kinderherzzentrums!