An der ECMO

15. Januar bis 20. Januar

Er sah so arm aus. So blass und klein und zart. So verletzlich zwischen all diesen Maschinen, aus denen das ECMO besonders herausstach. Der Thorax war erneut geöffnet worden und diesmal steckten zwei dicke Schläuche in der Brust meines Kindes. Durch den einen lief das sauerstoffarme Blut aus Emil heraus damit die Maschine die Arbeit des Herzens übernehmen konnte. Danach wurde das mit Sauerstoff angereicherte Blut durch den anderen Schlauch wieder in Emils Körper gepumpt.

IMG_0073Ich habe mein Kind schon in schlimmer Verfassung sehen müssen, so war sein Aussehen beispielsweise nach den vorherigen OPs für mich als Mutter jedesmal aufs neue schrecklich gewesen. Doch das hier raubte mir schier den Atem. Ich konnte es kaum ertragen, doch mir blieb ja keine Wahl. Ich hielt mich immer für einen Menschen der nicht besonders stark ist, der kaum Ehrgeiz zeigt und schnell aufgibt. Ein typisches Weichei eben, das Komplikationen gerne meidet. Ich heule beispielsweise direkt los und bin keine Kämpferin. Doch in diesem Moment wurde ich zu einer. Für Emil, für meinen Wurm, unsern Sohn. Ich würde mein Kind nicht aufgeben, niemals!

Die Situation war also folgende: Unser Kind hing an Maschinen, die dafür verantwortlich waren, ob es leben oder sterben würde. Das Herz hatte aufgegeben, war angeschwollen und schlug kaum. Emil konnte nicht selbstständig atmen, die Nieren versagten. Das Können der Kardiologen und Chirurgen war ausgereizt. Jetzt kam es also auf Emil an, er musste kämpfen, musste allen zeigen wie groß sein Überlebenswille war. Und Stefan und ich mussten ihn dabei unterstützen. Wenn ich also weinte – und das tat ich in dieser Zeit unfassbar oft – durfte ich das niemals vor meinem Kind tun. Das forderte mich. Ich lebte von Augenblick zu Augenblick, versuchte Ängste nicht zuzulassen. An diesem Abend in der Pension googelten wir, sagten uns immer wieder, dass Emil ja durch die Intubation und das ECMO doppelt abgesichert sei. Das ihm nichts passieren könne, solange die Maschinen ihren Job erledigten.

Die erste Nacht am ECMO überstand Emil soweit gut. Ich hatte Stefan mehrmals in dieser Nacht gebeten auf Intensiv anzurufen um sich nach Emil zu erkundigen. Er bleib soweit stabil. Ich schlief – meiner Medikamente sei dank  – auch ein paar Stunden.

IMG_0072Am nächsten Morgen war Emils Zustand unverändert. Stefan beschloss nachmittags nach Siegen zu fahren um ein paar Dinge zu holen, während ich bei Emil Wache hielt. Es war ein Sonntag und der Tag verlief relativ ruhig.

Auch die nächsten Tage blieben verhältnismäßig ruhig. Emils Nieren begannen zu arbeiten und schieden Urin aus. Ich hätte niemals gedacht, dass man sich über etwas Pipi so freuen kann. 😉

Wir waren so oft es uns möglich war bei unserem Kind. Hin und wieder kam ein Arzt oder eine Ärztin vorbei um die Schläuche des ECMOs mit einer Taschenlampe abzuleuchten. Das war wichtig um Thromben möglichst zu entdecken ehe sie in Emils Herz oder ins Gehirn gespült wurden und dort einen Infarkt oder eine Schlaganfall auslösen konnten.

Nach und nach wollte  das Herz immer mehr mitmischen und regenerierte sich langsam. Von Tag zu Tag begann es, mehr Arbeit zu übernehmen.  Inzwischen versuchten die Ärzte, Emils Betäubung immer mehr zu drosseln, so dass er sich am Mittwoch ein kleines bisschen bewegte. Die Tage davor schlief er so fest, dass er gar keine Regung zeigen konnte. Über solch kleinen Fortschritte freuten wir uns unfassbar.

Am Donnerstag schließlich, fünf Tage nach der Reanimation, beschlossen die Chirurgen den Abgang vom ECMO zu wagen. Man warnte uns, dass es schiefgehen könne, besonders weil sich Emils Lunge noch nicht wieder vollständig erholt hatte. Wir sollen nicht zu viel erwarten. Wir wurden also Nachmittags aus dem Raum geschickt und warteten, voller Spannung und voller Angst. Als die Chirurgen zum Fahrstuhl gingen, konnte ich einen Blick auf sie erhaschen und eine Ärztin hielt ihren Daumen hoch. Es hatte also geklappt. Wir waren so erleichtert.