Zurück auf Czerny

Dezember 2011

IMG_0135Am nächsten Morgen wurde Emil nach Gießen verlegt. Wieder warteten wir auf den Krankenwagen, der ihn dort hin bringen sollte, genau wie damals, als sein Herzfehler entdeckt worden war. Aber diese Mal durfte ich mitfahren. Stefan und ich hatten uns am Abend zuvor schon um eine Unterkunft in Gießen gekümmert, da aber alle Pensionen belegt waren, mussten wir mit einem Hotel vorlieb nehmen. Während ich mit Emil und dem Krankenwagen vorfuhr, packte Stefan noch ein paar Sachen zusammen um dann mit dem Auto nachzukommen.

Emil wurde auf eine Trage geschnallt, auf der er sehr verloren wirkte. Dann brachten ihn die Sanitäter in den Krankenwagen. Er fand das alles unglaublich spannend und hatte keinerlei Angst. Wir wurden von einem Kardiologen begleitet, der während der Fahrt Emils Vitalfunktionen im Auge behalten sollte. Da Emil kein Notfall war, fuhren wir ohne Blaulicht, was mein Sohnemann sehr schade fand.

In Gießen angekommen, landeten wir auf Czerny wieder im selben Zimmer und im selben Bett wie während unseres letzten Aufenthalts. Ich sah das einfach mal als gutes Omen an. Nach der Aufnahme kam unsere Kardiologin, um uns zum Ultraschall abzuholen. Sie freute sich sehr, als sie meinen dicken Bauch bemerkte. Die OP sei für den nächsten Tag  geplant, sagte sie noch.

Mittags ging ich in die neue Krankenhauskantine um etwas zu essen. Anfang des Jahres war diese noch nicht eröffnet gewesen, weil die Uniklinik Gießen zu dieser Zeit noch mitten in dem Neubau steckte. Ich war also neugierig zu sehen, wie sie geworden war. Inzwischen war es so, dass die Begleitpersonen der Kinder nicht mehr ihr Essen auf der Station erhielten, sondern ihre Mahlzeiten – mit Essensmarken ausgestattet – in der Kantine abholten. In der Cafeteria traf ich auf Susanne und Martin, meine Bekanntschaften aus der Siegener Kinderklinik. Ich freute mich sehr, auch wenn die Umstände alles andere als schön waren. Die beiden hatten inzwischen erfahren, dass Mila vermutlich operiert werden musste, genaueres wollten die Ärzte aber noch untersuchen.

Wieder auf Czerny versuchte ich mich zu entspannen, allerdings hatte Emils Erkältung inzwischen auch mich erwischt und ich fühlte mich hundeelend. Nachdem Stefan gekommen waren, checkten wir ersteinmal in das Hotel ein und kehrten dann zurück auf Czerny. In unserem Zimmer lernten wir dann Robert, Emils Zimmergenossen kennen. Er war sieben Jahre alt und wurde begleitet von seiner Mutter Melanie, welche auch mit in dem Zimmer schlief. Robert lag schon eine ganze Weile auf Czerny, weil seine Bauchnaht nicht heilte. Er war bis auf diese Sache eigentlich fit und ein ganz schöner Lausejunge. Mit Melanie verstand ich mich ganz gut.

IMG_0140Am nächsten Tag teilte man uns mit, dass die OP auf den kommenden Donnerstag, also auf in zwei Tagen verschoben worden war. Emils Lungenentzündung sei noch nicht so weit ausgeheilt, dass man operieren könne. Ich verstand das zwar, aber die Situation war dennoch nervenaufreibend für mich. Mir ging es mittlerweile sehr schlecht, ich bekam kaum Luft, weil ich ständig husten musste und das Baby auf meine Lungen drückte. Außerdem sollte ich auf Station einen Mundschutz tragen, um niemanden anzustecken. Ich merkte, wie mich die Kraft langsam verließ. Die Schwestern boten mir an, mit NaCl, also Kochsalzlösung zu inhalieren und da ich in meinem Zustand kaum andere Medikamente nehmen durfte, nahm ich das Angebot gerne an. Also inhalierten Emil und ich parallel.

Eine kleine Abwechselung wurde uns an nächsten Tag noch geboten, denn es war der sechste Dezember und der Nikolaus besuchte die Station Czerny. Auf dem Krankenhausflur wurden lange Kindertische gestellt und alle Kinder, die nicht im Bett bleiben mussten, setzen sich hin. Ich kann mich an diesem Tag noch sehr gut an Melek erinnern, über die ich im Kapitel Sternenkinder bereits berichtet habe. Ich sehe noch heute ihre glänzenden Augen vor mir, als ihr der Nikolaus ein Geschenk überreichte. Auch Emil freute sich sehr.

Nach einer Nacht in dem Hotel sprach mich am nächsten Tag eine Schwester an, ob ich für die Zeit unseres Aufenthalts nicht Interesse an einem Apartment der „sieben Zwerge“ hätte. Diese kleinen Wohnungen sind extra für Eltern, deren Kinder über eine längerem Zeitraum im Kinderherzzentrum bleiben müssen, ähnlich wie beispielsweise das Ronald McDonald Haus. Unterstützer der Apartments ist der Verein „Kinderherzen heilen e.v.“. Ich war so froh, dass ich aus dem Hotel rauskam. Mein Apartment verfügte über nette, helle Möbel, eine kleine Küche sowie über eine Waschmaschine. Stefan würde nicht mit einziehen, da er wieder arbeiten musste. Neben dem Apartment stand eine Kirche,  jeden Morgen um sieben läuteten die Glocken. Um diese Uhrzeit stand ich ungefähr auf, duschte und zog mich an. Dann machte ich ich auf den Weg ins Kinderherzzentrum wo ich mir meine Frühstücksmarke abholte. Nachdem ich mit das Essen aus der Kantine geholt hatte, frühstückte ich mit Emil. Wieder waren die Tage lang und anstrengend. Zum Glück gab es das Spielzimmer, in dem Emil sich sehr gerne aufhielt.

Am siebten Dezember fand die Narkose Aufklärung sowie die OP Vorbesprechung statt. Mir ging es immer noch nicht wieder gut und ich wollte einfach nur, dass das alles ein Ende nahm. So war ich sehr enttäuscht als wir abends erfuhren, dass der Eingriff erneut verschoben werden musste. Diesmal war kein Platz auf der Intensivstation. Ich hätte schreien mögen. Am nächsten Tag quälte ich mich so durch den Tag. Ich weiß auch nicht mehr, wie ich das geschafft habe. Emil hielt sich viel im Spielzimmer auf und ich legte mich in der Zwischenzeit in sein Bett. Es war ja nicht nur die Erkältung, auch der Rücken schmerzte durch den riesigen Bauch. Am Tag darauf besuchte meine Mutter Emil, so daß ich mich ins Apartment zurück ziehen konnte um zu schlafen.

Am zehnten Dezember, einem Samstag, hatte Stefan Geburtstag. An diesem Tag wollten uns seine Mutter, sein Vater und sein Bruder besuchen um mit uns Kaffee zu trinken und ein bisschen zu feiern. Die drei kamen bereits gegen Mittag, was Stefan und mir die Gelegenheit gab, in der Stadt was zu essen und zu trinken. Wir machten uns also auf den Weg und ich genoss es, mal für zwei Stunden aus dem Krankenhaus raus zu kommen. Stefans Familie bespaßte unterdessen Emil. Als wir zurück kamen erzählte mir Melanie, dass Melek kollabiert sei, ich habe das in dem Kapitel Sternenkinder bereits beschrieben. Ich hatte mir bei diesem Krankenhausaufenthalt so fest vorgenommen, dass ich diesmal nicht zu viel über die Schicksale andere Kinder im Kinderherzzentrum nachdenken wollte. Schließlich war ich schwanger so und voller Hormone, dass ich bei der kleinsten Kleinigkeit anfing zu weinen. Aber Meleks Schicksal traf mich trotzdem ganz arg. Noch heute denke ich viel an sie.

Am zwölften Dezember war es dann soweit. Emil sollte seinen (zweiten) Herzschrittmacher eingesetzt bekommen.