Die Dritte OP

13. und 14. Januar 2011

Mit einem unguten Gefühl machten wir uns am 12. Januar auf nach Gießen. Mein Gefühl sagte mir, dass dieser Eingriff nicht so glimpflich ablaufen würde wie die beiden davor. Und ich sollte Recht behalten.

Von dem Tag vor der OP weiß ich eigentlich nicht mehr viel. Aber eines ist mir in Erinnerung geblieben. Wie Emil quietschfidel und superfit über Czerny – so heißt die Station im Kinderherzzentrum Gießen – flitzte und mit den Schwestern flirtete. Er war einfach zum anbeißen und man sah ihm in keinster Weise an, dass sein Herzchen so krank war. Mein Söhnchen zeigte jedem seine „Pinne“, eine Stoffspinne von Ikea und hatte einen Heidenspaß die Schwestern damit zu erschrecken.

Die Nacht vor der OP blieb ich bei Emil, während Stefan das Zimmer in der Pension, das wir kurz vorher angemietet hatten, bezog. Ich nahm eine der Tabletten die ich mir hatte aufschreiben lassen und versuchte zu schlafen. Natürlich klappte das nicht wirklich, ich machte in dieser Nacht kaum ein Auge zu, zu groß waren die Unruhe und die Angst, dass etwas passieren würde.

IMG_0074IMG_0075Um halb Acht am nächsten Morgen kam Stefan. Emil wurde für die OP vorbereitet, er bekam ein gelbes OP-Hemdchen mit Elefanten darauf an. Wir haben sehr viele Fotos, wie er in besagtem Hemdchen in seinem Bett rum turnt. Dann gab ihm eine Schwester ein orales Beruhigungsmittel. Wenig später, wurde der Wurm mit seinem Bettchen runter in den OP gerollt, wir durften noch bis zur Schleuse mit. Hier empfing uns bereits der Anästhesist, der Emil sogleich etwas zum einschlafen spritzte. Weinend verabschiedete ich mich von meinem Kind.

Weil man uns gesagt hatte, dass die OP mehrere Stunden dauern würde, gingen wir fürs erste frühstücken. Ich erinnere mich, dass ich kaum etwas herunter bekam und mir die schrecklichsten Dinge ausmalte. So sah ich mich beispielsweise schon bei Emils Beerdigung. Stefan versuchte, mich zu beruhigen. Nachdem wir gefrühstückt hatten, sah ich mir unser Zimmer in der Pension an. Da ich morgens eine weiter Tablette genommen hatte und in der Nacht kaum geschlafen hatte, legte ich mich für zwei Stunden hin. Am frühen Nachmittag machten wir uns auf zur Intensivstation, obwohl wir wussten, dass es noch mehrere Stunden dauern konnte.

Wir saßen im Elternzimmer und warteten. Gegen sechs kam der Anästhesist hoch und erzählte uns, dass Emils Herzfehler wesentlich komplexer sei, als bis dahin vermutet. So habe man den Ross-Konno Eingriff noch nicht machen können, weil man den ganzen Tag versucht habe, die Verengung in der Mitralklappe zu weiten. Emils Thorax sei immer noch offen, da man morgen die Ross-Konno OP nachholen wolle.

Wir waren schockiert. Das hieß ja, dass wir das morgen nochmal durchstehen mussten. Wir konnten Emil kurz sehen, sein Thorax war offen und nur mit einem Verband verdeckt, er war intubiert und hing an so vielen Maschinen. Mir brach fast das Herz. Um halb Acht wurden wir der Intensivstation verwiesen weil Schwesternübergabe war.

Am nächsten Morgen wurde Emil noch vor acht in den OP gebracht, so das wir ihn vorher nicht mehr sehen konnten. Nach einer erneuten schlaflosen Nacht und der Einnahme einer weiteren Tablette, beschlossen Stefan und ich uns irgendwie abzulenken und in die Stadt zu gehen. Wir frühstückten in einem anderen Café und schauten uns dann noch ein wenig in Gießen um. Gegen zwei Uhr riefen wir das erste Mal auf Intensiv an um uns nach Emil zu erkundigen.

Gegen vier hielten wir es nicht mehr aus und beschlossen, im Elternzimmer der Intensivstation auf das Ende der OP zu warten. Gegen sechs wurde Emil endlich hochgebracht und und in seinem Bett versorgt. Endlich konnten wir den Chirurgen sprechen, der unser Kind operiert hatte. Die OP sei gut verlaufen, sagte er, er habe Emil einen großen Contegra Graft (Rinderschlagader) als Klappenersatz einsetzen können der sicher ein paar Jahre halten könne. In diesem Gespräch fiel zum ersten Mal in unserm Beisein der Name von Emils Herzfehler: Shone-Komplex!

IMG_0071Nach diesem Gespräch konnten wir unsern Wurm endlich sehen. Der Thorax war inzwischen verschlossen worden, aber unser Kind sah so unfassbar verletzlich und zart aus in seinem Bett. Vorsichtig streichelte ich seinen Kopf, seine Hand und jede Stelle seines zerbrechlichen Körpers in der keine Nadel, kein Katheter und kein Schlauch steckte. Gegen halb acht mussten wir die Station verlassen und gingen in unsere Pension. Auf dem Heimweg sagte Stefan einen Satz, den ich niemals vergessen werden: „Jetzt haben wir das Schlimmste hinter uns.“ Nun, er sollte sich irren und ich spürte das in diesem Moment instinktiv.